Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz

Eignet sich die Infusion durchblutungsfördernder Substanzen zur Behandlung eines Hörsturzes?

Patient erhält Infusionstherapie von Ärztin

IGeL-Info kompakt

IGeL-Steckbrief
Fachgebiet Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Bereich Gehör
Anlass

Hörverlust

Verfahren

Infusion von durchblutungsfördernden Mitteln

Kosten

10 bis 25 Euro pro Infusion plus Kosten für Arzneimittel

GKV-Leistung

Untersuchungen zur Abklärung eines Hörverlustes; Therapien mit anerkannten Methoden bei behandelbaren Ursachen eines Hörverlustes, also nicht beim Hörsturz

Wir bewerten die IGeL Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz mit „negativ“.

Wer plötzlich schlecht hört, kann an einem Hörsturz leiden. Was es damit genau auf sich hat, ist bislang unbekannt, man weiß aber, dass das Hören meist von selbst wieder besser wird. Da man die Ursachen eines Hörsturzes nicht kennt, kann man diese auch nicht gezielt behandeln. Eine Therapie des Hörsturzes ist keine Kassenleistung, sie wird deshalb als IGeL angeboten. Man vermutet, dass beim Hörsturz Durchblutungsstörungen im Innenohr eine Rolle spielen. Deshalb werden Arzneimittel eingesetzt, die das Blut besser fließen lassen. Die Mittel werden meist an fünf bis zehn Tagen nacheinander über eine Vene an der Hand oder am Arm als Infusion verabreicht. Eine einzelne Infusion kostet in der Regel zwischen 10 und 25 Euro. Hinzu kommen die Kosten für die Arzneimittel.

Um Nutzen und Schaden dieser IGeL bewerten zu können, suchten die Wissenschaftler des IGeL-Monitors nach entsprechenden Studien an Patienten. In manchen Studien wurden Mittel untersucht, die in Deutschland in dieser Form nicht zugelassen sind. Andere Studien untersuchten ein Mittel, von dem für die Hörsturzbehandlung dringend abgeraten wird. All diese Untersuchungen wurden nicht berücksichtigt. Am Ende eigneten sich nur zwei der gefundenen Studien für eine Auswertung. Die beiden Studien untersuchen die Mittel Pentoxifyllin und Dextran. Sie zeigen, dass behandelte Patienten am Ende nicht besser hören als Kontrollpatienten. Man weiß aber von den eingesetzten Mitteln, dass sie Nebenwirkungen haben können. Insgesamt sehen wir also keine Hinweise auf einen Nutzen, aber Belege für einen Schaden, so dass die Gesamtbewertung „negativ“ ausfällt.

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Anlass

Hörverlust

Verfahren

Infusion von durchblutungsfördernden Mitteln

Kosten

10 bis 25 Euro pro Infusion plus Kosten für Arzneimittel

GKV-Leistung

Untersuchungen zur Abklärung eines Hörverlustes; Therapien mit anerkannten Methoden bei behandelbaren Ursachen eines Hörverlustes, also nicht beim Hörsturz

IGeL

Der Hörsturz ist ein plötzlicher Hörverlust, dessen Ursachen unbekannt sind. Oft stellt sich das Hörvermögen von selbst wieder ein, bei jedem zweiten Betroffenen kommt es vollständig zurück. Als Therapie wird vor allem die Gabe von Arzneimitteln diskutiert, die entweder die Durchblutung verbessern oder eine Entzündung hemmen können. Zur Verbesserung der Durchblutung kommen Mittel in Frage, die auf Blutbestandteile oder die Blutgefäße einwirken, so dass das Blut besser fließen kann. Da man bislang nicht weiß, was einen Hörsturz verursacht, kann man auch keine überzeugende Therapie anbieten. Derzeit muss jede Hörsturztherapie als IGeL aus eigener Tasche werden. Es sind zwar durchblutungsfördernde Arzneimittel auch für die Hörsturzbehandlung zugelassen, allerdings dürfen auch sie nicht auf Kassenkosten verschrieben werden. Eine einzelne Infusion kostet in der Regel zwischen 10 und 25 Euro, die Kosten für die Arzneimittel kommen noch dazu. Die Infusion wird an 5 bis 10 Tagen aufeinander folgenden Tagen wiederholt.

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Gesundheitsproblem

Als Hörsturz wird ein Hörverlust bezeichnet, der plötzlich und meist nur in einem Ohr auftritt. Zusätzlich können Schwindel, Ohrgeräuschen (Tinnitus) oder ein Druckgefühl im Ohr auftreten. Der Hörverlust kann unterschiedlich schwer sein, von leichter Schwerhörigkeit bis hin zur Taubheit. Man unterscheidet verschiedene Arten des Hörsturzes, je nachdem, ob hohe oder tiefe Töne nicht mehr wahrgenommen werden können, und wie stark der Hörverlust ist.

Etwa drei von tausend Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen Hörsturz. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen, meist im Alter von 40 bis 54 Jahren. Bislang ist nicht bekannt, was einen Hörsturz auslöst und was dabei im Ohr vorgeht, auch wenn es viele Vermutungen und Spekulationen darüber gibt. So werden beispielsweise Durchblutungsstörungen in den Gefäßen im Innenohr, Infektionen sowie Immunreaktionen als mögliche Ursachen diskutiert. Da es neben dem Hörsturz noch andere Formen der akuten Innenohrschwerhörigkeit gibt, die man behandeln kann, dient eine Diagnose des Hörsturzes vor allem dazu, behandelbare Ursachen des Hörverlustes auszuschließen.

Da der Hörsturz die Lebensqualität eines Patienten erheblich einschränkt, hält die S1-Leitlinie „Hörsturz“ der „Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie“ aus dem Jahr 2014 einen Behandlungsversuch grundsätzlich für gerechtfertigt. Ein Hörsturz sei aber kein Notfall, bei dem man sich beeilen müsse, heißt es in der Leitlinie . Für eine Therapie diskutiert die Leitlinie vier Möglichkeiten: Arzneimittel, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern (Rheologika), entzündungshemmende Glukokortikoide (siehe IGeL-Monitor-Bewertung), Anti-Virenmittel sowie die hyperbare Sauerstofftherapie (siehe IGeL-Monitor-Bewertung).

Studien deuten an, dass bei der Mehrzahl der Patienten ein Hörsturz auch unbehandelt wieder heilt. Wenn also ein HNO-Arzt behauptet, dass ein Patient, der einen Hörsturz in den ersten acht bis zwölf Wochen nicht behandeln lässt, in der Folge unweigerlich auf ein Hörgerät angewiesen sein wird, ist dies nicht korrekt.

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Methode

Arzneimittel zur Verbesserung der Durchblutung lassen entweder die Blutgefäße weiter werden oder sie verbessern die Fließeigenschaften des Blutes. Die Mittel werden in einem halben Liter Flüssigkeit in die Arm- oder Handvene verabreicht und zwar an mehreren Tagen nacheinander. Als Mittel zur Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes kommen verschiedene Präparate aus verschiedenen Medikamentengruppen in Frage.

Drei Beispiele: Pentoxifyllin ist zwar für die Behandlung des Hörsturzes zugelassen, darf aber nicht mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Dextran ist in Deutschland für die Hörsturzbehandlung nicht einmal zugelassen, kann aber im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit eingesetzt werden. Wird Dextran verschrieben, sollten Ärztinnen und Ärzte darüber informieren, dass sie fachlich sozusagen auf eigene Faust handeln. Die früher häufig verwendete Hydroxyethylstärke (HES) soll laut einem Beschluss der Europäischen Arzneimittelbehörde von 2013 nicht mehr verwendet werden.

Mitunter bieten Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung von Hörsturz und Tinnitus dieselbe Therapie an.

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Empfehlungen anderer

Die S1-Leitlinie „Hörsturz“ der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie aus dem Jahr 2014 sieht die durchblutungsfördernde Infusionstherapie kritisch: Blutgefäßweitenden Mitteln könnten ebenso wenig empfohlen werden wie Hydroxyethylstärke (HES)-haltige Lösungen und zu Pentoxifyllin gebe es keine aussagekräftigen Studien . In ihrer Therapieempfehlung werden durchblutungsfördernde Mittel folglich nicht erwähnt. Einschränkend sei erwähnt, dass in einer Leitlinie der Stufe S1 die wissenschaftliche Literatur nicht systematisch aufbereitet wird.

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Bewertung

Wirkung

Als Ursache für einen Hörsturz werden unter anderem Durchblutungsstörungen diskutiert. Um eine mögliche Ursache eines Hörsturzes zu beseitigen, könnte es deshalb nützlich sein, Patientinnen und Patienten mit Mitteln zu behandeln, die das Blut besser fließen lassen.

Nutzen

Die IGeL „Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz“ wäre nützlich, wenn sie das Hörvermögen schneller und/oder häufiger wieder herstellt als eine Vergleichstherapie ohne durchblutungsfördernde Wirkstoffe.

Die Recherche in den wissenschaftlichen Datenbanken erbrachte drei Übersichtsarbeiten , die sich mit diesem Thema beschäftigen. Darin wurden insgesamt neun Einzelstudien analysiert. Sieben dieser Studien wurden aussortiert: sechs Studien, weil Substanzen verwendet wurden, die in Deutschland in dieser Darreichungsform nicht zugelassen sind oder von denen für eine Hörsturzbehandlung dringend abgeraten wird, und eine Studie , weil in der Kontrollgruppe kein Placebo , sondern mit Hydrocortison ein Wirkstoff eingesetzt wurde.

Es blieben also zwei Studien übrig, die für diese Bewertung herangezogen wurden. In den beiden Studien wurden die durchblutungsfördernden Mittel Pentoxifyllin und Dextran untersucht. Den Studienteilnehmern in den Vergleichsgruppen wurde nur eine Kochsalzlösung infundiert. Das Ergebnis: In keiner der beiden Studien verminderte die Gabe der Wirkstoffe den Hörverlust besser als die Infusion mit Kochsalzlösung.

Wir sehen also keinen Hinweis auf einen Nutzen der Behandlung.

Schaden

Die IGeL „Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz“ wäre schädlich, wenn bei behandelten Patienten mehr Nebenwirkungen aufträten als bei Patienten in der Placebo gruppe.

Nur eine der beiden Studien berichtet unerwünschte Ereignisse. Demnach litten Patienten, die Infusionen mit Dextran und Pentoxifyllin bekamen, häufiger an Übelkeit und Erbrechen als die Patienten in der Kontrollgruppe .

Fachinformationen zu Arzneimitteln listen mögliche Nebenwirkungen auf, die grundsätzlich auftreten können, wenn das Mittel entsprechend dosiert und entsprechend lange eingesetzt wird. Laut dieser Fachinformationen löst Dextran in seltenen Fällen heftige Immunantworten aus. Pentoxifyllin führt häufig zu Beschwerden im Magen oder Darm, heftigem Erröten, Schwindel, Zittern, Kopfschmerzen und Fieber, selten zu diversen Hautreaktionen.

Die Nachweise von Schäden aus den Studien sowie die Fachinformationen sehen wir als ausreichend an, um von Belegen für Schäden sprechen zu können.

Fazit

Wir bewerten die IGeL „Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz“ mit „negativ“. Eine relativ schwache Studienlage lässt keine Vorteile einer Infusionstherapie mit Mitteln, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, erkennen. Dagegen sind häufige leichte sowie seltene schwere Schäden in der Literatur sowie in den Fachinformationen beschrieben, so dass wir von Belegen für Schäden ausgehen. Auch die entsprechende ärztliche Leitlinie empfiehlt diese Art der Hörsturz-Therapie nicht.

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Merkblatt für das Praxisgespräch

Durchblutungsfördernde Infusionstherapie beim Hörsturz

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Allgemeine Informationen zu dieser IGeL

  • Wer plötzlich schlecht hört, kann einen Hörsturz haben. Die Ursachen sind unbekannt. Meist hört man von alleine wieder besser.
  • Vielleicht ist beim Hörsturz die Durchblutung im Innerohr gestört. Deshalb sollen Infusionen mit durchblutungsfördernden Mitteln helfen.
  • Kosten: etwa 10 bis 25 Euro plus die Kosten für die Medikamente.
  • Das bezahlen die Krankenkassen (GKV): Diagnose des Hörsturzes, aber keine Therapie

Was sagt der IGeL-Monitor über den Nutzen?

  • Durchblutungsfördernde Mittel sollen den Hörsturz heilen, oder die Heilung befördern.
  • Zwei Studien an Patienten zeigen, dass die Mittel Pentoxifyllin und Dextran nicht besser als Scheinmedikamente wirken.
  • Deshalb sehen wir keine Hinweise auf einen Nutzen

Was sagt der IGeL-Monitor über den Schaden?

  • Die Studien gehen nicht auf Nebenwirkungen ein.
  • Man weiß, dass Pentoxifyllin und Dextran teilweise schwere Nebenwirkungen haben können
  • Deshalb sehen wir Belege für einen möglichen Schaden.

Was meint der IGeL-Monitor?

  • Unsere Bewertung lautet „negativ“. Patienten können keinen Nutzen erwarten, müssen aber Nebenwirkungen in Kauf nehmen.

Woher weiß der IGeL-Monitor das?

  • Analyse der internationalen Forschungsergebnisse durch das wissenschaftliche Team des IGeL-Monitors.
  • Quellen: Studien von Probst et al. (1992) und Kronenberg et al. (1992)
  • Detaillierte Informationen zur Analyse unter www.igel-monitor.de.

Was ist der IGeL-Monitor?

  • IGeL-Monnitor analysiert Nutzen und Schaden von IGeL (auch „Selbstzahlerleistungen“), damit Versicherte sich informieren können.
  • Träger: MDS (Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes)

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