Früherkennung eines Glaukoms mit Optischer Kohärenztomographie mit „tendenziell negativ“ bewertet

PRESSEMITTEILUNG DES MDS Essen, 30. August 2019

Viele Augenärztinnen und Augenärzte bieten die Optische Kohärenztomographie, kurz OCT, zur Früherkennung eines Glaukoms als Selbstzahlerleistung an. Der IGeL-Monitor wollte wissen, ob die Untersuchung tatsächlich verhindern kann, dass Menschen aufgrund ihres Glaukoms erblinden. Aussagekräftige Studien dazu konnten jedoch nicht gefunden werden. Auch konnten Studien nicht zeigen, dass eine frühe Therapie nützlich ist. Indirekte Schäden sind bei Früherkennungsuntersuchungen jedoch immer zu erwarten. Die Bewertung dieser Individuellen Gesundheitsleistung, kurz IGeL, lautet deshalb „tendenziell negativ“.

Das Glaukom ist eine weit verbreitete Augenkrankheit, die zur Erblindung führen kann. Für die Früherkennung eines Glaukoms wird neben anderen Verfahren auch die Optische Kohärenztomographie (OCT) angeboten. Eine OCT ist zur Früherkennung, Diagnose und Therapiekontrolle des Glaukoms eine Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL). Die Untersuchung kostet in der Regel zwischen 90 und 140 Euro. Eine Informationsbroschüre der Ärzteschaft zum Glaukom empfiehlt zwar eine Glaukom-Früherkennung, jedoch nicht die OCT, sondern die Augeninnendruckmessung und Augenspiegelung. 

Das Glaukom („grüner Star“) gehört zu einer Gruppe von Erkrankungen, die den Sehnerv schädigen. Bei den Patientinnen und Patienten entwickelt der Sehbereich über die Jahre hinweg immer weitere Lücken. Schlimmstenfalls führt dies zur Erblindung. Die OCT wird in der Augenheilkunde für verschie-dene Einsatzgebiete angeboten – für welche, ist von Praxis zu Praxis unterschiedlich. Eine Recherche des IGeL-Monitors bei 100 augenärztlichen Praxen zeigt: Etwa 80 Prozent der Praxen bieten die OCT an, davon 58 Prozent für das Glaukom und 35 Prozent explizit zur Glaukom-Früherkennung.

Die Vorteile der OCT scheinen auf der Hand zu liegen: Sie erlaubt Augenärztinnen und Augenärzten detaillierte Einblicke in die tiefen Strukturen des Auges. Aber haben Patientinnen und Patienten tatsächlich etwas davon? Um den Nutzen der OCT ermitteln zu können, ist das wissenschaftliche Team des IGeL-Monitors zunächst folgender Frage nachgegangen: Lässt sich bei Menschen ohne Beschwerden ein Glaukom, das mit Hilfe der OCT in einem frühen Stadium entdeckt wurde, aufhalten oder der Verlauf der Erkrankung zumindest abschwächen? 

Um dies zuverlässig beantworten zu können, braucht man Studien, die Personen mit OCT-Früherkennung und ohne OCT-Früherkennung vergleichen. Es wurden zwei Übersichts-arbeiten zur Glaukom-Früherkennung gefunden, die jedoch bei ihren Recherchen keine Studien zur konkreten Frage nach dem Nutzen einer Früherkennung mit OCT ermitteln konnten. Einzelne Studien zu dieser Frage wurden vom Team des IGeL-Monitors ebenfalls nicht gefunden. 

In einem zweiten Schritt fragte der IGeL-Monitor, ob ein früher Therapiebeginn bessere Ergebnisse erzielt als ein später. Konkret: Können Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks und andere Therapien ein frühes Glaukom besser als ein spätes Glaukom aufhalten oder den Krankheitsverlauf zumindest besser abschwächen? „Frühes Glaukom“ heißt in dem Fall, dass die Krankheit noch keine Beschwerden bereitet und nur durch eine Früherkennungsuntersuchung entdeckt werden konnte, „spätes Glaukom“ bedeutet, dass die Krankheit Beschwerden verursacht und deshalb entdeckt wurde. Um das zuverlässig beantworten zu können, braucht man Studien, die Personen mit früher und später Behandlung vergleichen. Es fanden sich sieben Studien, die zumindest ähnliche Fragen beantwortet haben. So richtig gut passt jedoch keine Studie , weil die Personen in den Studien nicht die richtigen Voraussetzungen erfüllten, sie zu einem anderen Zeitpunkt behandelt wurden oder weil die Beobachtungszeit zu kurz war.

Und die Schäden? Direkte Schäden der OCT sind bei sachgemäßem Einsatz nicht zu erwarten. Die OCT kommt ohne Berührung des Auges aus und verwendet nur schwaches Licht, das die Sehzellen nicht schädigt. Indirekte Schäden können bei Früherkennungsuntersuchungen grundsätzlich entstehen. Das lässt sich auch auf die Glaukom-Früherkennung übertragen: Demnach können Glaukome übersehen, Veränderungen am Sehnerv fälschlich als krankhaft eingestuft und frühe Glaukome unnötigerweise behandelt werden, weil sie nie zu einer Sehbeeinträchtigung geführt hätten. Augentropfen zur Drucksenkung sind zwar in der Regel gut verträglich, können aber durchaus Nebenwirkungen haben. 

Insgesamt sieht der IGeL-Monitor keinen Nutzen , aber mögliche Schäden der OCT zur Glaukom-Früherkennung. Die Bewertung lautet deshalb „tendenziell negativ“.

Alterskrankheit Glaukom

Mit zunehmendem Alter steigt das Glaukom-Risiko. Eine Auswertung von Daten der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) von 2019 ergab folgende Zahlen: In der Altersgruppe
50 – 59 haben etwa 1 Prozent ein Glaukom, in der Gruppe 60 – 69 etwa 3 Prozent, in der Gruppe 70 – 79 sind es etwa 5 Prozent. Danach steigt die Häufigkeit nicht mehr an. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch. Laut Deutscher Ophthalmologischer Gesellschaft rechnet man in Deutschland jährlich mit gut 1.000 neuen Erblindungen aufgrund eines Glaukoms. 

Behandelt wird mit Medikamenten, Laser und chirurgischen Verfahren. Unmittelbares Ziel der Behandlung ist es meist, den Augeninnendruck zu senken. Das gilt auch dann, wenn der Druck gar nicht erhöht ist. Ein bereits geschädigter Sehnerv erholt sich dadurch aber nicht mehr. Ein Glaukom ist also nicht heilbar. Eine Senkung des Augeninnendrucks soll vielmehr bewirken, dass das Glaukom sich nicht weiter entwickelt und das Augenlicht erhalten bleibt. 

Zur Früherkennung empfehlen die augenärztlichen Verbände die Augeninnendruckmessung und die Augenspiegelung. Diese Kombiuntersuchung wurde im IGeL-Monitor jedoch mit „tendenziell negativ“ bewertet, weil Nutzen nachweise fehlen und indirekte Schäden möglich sind. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Kostenübernahme für die Glaukom-Früherkennung durch die gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt. Es gibt also derzeit keine kassenfinanzierte Glaukom-Früherkennung.

OCT bald Kassenleistung, aber nicht beim Glaukom

Ende Dezember 2018 hat der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, dass die OCT zur Diagnostik und Therapiesteuerung der feuchten Makuladegeneration sowie des Makulaödems bei Diabetikern Kassenleistung werden soll. Das Bundesgesundheits-ministerium hat dem Beschluss Ende Februar zugestimmt. Bis die Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden können, muss noch festgelegt werden, welche Kosten für die Leistungen berechnet werden dürfen. Als Früherkennungs-Untersuchung sowie für alle Maßnahmen beim Glaukom bleibt die OCT eine IGeL.

Die OCT ähnelt der Ultraschall-Untersuchung, doch während beim Ultraschall Schallwellen eingesetzt werden, arbeitet die OCT mit Licht (daher "optisch"). Dieses Licht wird vom Untersuchungsobjekt auf eine bestimmte Weise reflektiert (daher "Kohärenz-"), und aus den Schnittbildern (daher "-tomographie") ein zwei- oder dreidimensionales Bild errechnet.

Hintergrund:

Unter www.igel-monitor.de erhalten Versicherte evidenzbasierte Bewertungen zu sogenannten Selbstzahlerleistungen. Entwickelt wurde die nicht-kommerzielle Internetplattform vom Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS) .
Der MDS berät den GKV-Spitzenverband in allen medizinischen und pflegerischen Fragen, die diesem qua Gesetz zugewiesen sind. Er koordiniert und fördert die Durchführung der Aufgaben und die Zusammenarbeit der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) auf Landesebene in medizinischen und organisatorischen Fragen. 

Die IGeL „OCT zur Früherkennung eines Glaukoms“ ist die 51. Leistung, die der IGeL-Monitor inzwischen bewertet hat. Bislang gab es folgende Bewertungen:

positiv   0
tendenziell positiv   2
unklar   20
tendenziell negativ   22
negativ   4
in Überarbeitung   1
durch neue Bewertung ersetzt   1
zu GKV -Leistung geworden   1

Vier weitere IGeL wurden nicht bewertet, sondern nur besprochen.


Die Bewertung der „OCT zur Früherkennung eines Glaukoms“ finden Sie hier.

Pressekontakt: 

IGeL-Monitor
Dr. Christian Weymayr
Tel.: 01577 6811061 
c.weymayr@igel-monitor.de